Alchemie in der Küche: Zu Hause bei David Zilber

Wir haben den Lebensmittelwissenschaftler, Koch und Autor David Zilber in seinem Haus in Kopenhagen besucht, um über Fermentierung, das Leben mit einem Neugeborenen und den Begriff „Zuhause“ zu sprechen.

Hoch oben in einer der belebtesten Straßen Kopenhagens liegt das Zuhause des Küchenchefs und Fermentationsexperten David Zilber. Es ist so hoch gelegen, dass das einzige Geräusch, das während unseres Besuchs durch die offenen Fenster der Wohnung im fünften Stock dringt, das Vorbeiziehen der Dänischen Königlichen Leibgarde in Begleitung ihrer Marschkapelle ist. David stammt ursprünglich aus Kanada und ist seit 2014 in Kopenhagen beheimatet. Damals kam er über den Atlantik hierher, um als Küchenchef im Restaurant Noma zu arbeiten, das immer wieder als das beste der Welt gepriesen wird. Vor seinem Umzug arbeitete David als stellvertretender Küchenchef in einem Restaurant in Vancouver. Er erhielt seine Chance, in dem berühmten dänischen Restaurant zu arbeiten, durch eine einfache schriftliche Bewerbung. David begann in der Küche als Koch, doch sein nebenberufliches wissenschaftliches Interesse brachte ihm bald die Rolle des Sous-Chefs im Bereich Fermentation ein. Nach nur einem Jahr übernahm er die Leitung des Teams. Im Jahr 2016 gab David zusammen mit dem Gründer des Noma, René Redzepi, das Buch Das Noma-Handbuch Fermentation (Originaltitel: Foundations of Flavour: The Noma Guide to Fermentation) heraus. Dieses ist in der Welt der Gastronomie inzwischen maßgebend und zu einem festen Bestandteil im Bücherregal eines jeden Feinschmeckers geworden.

 

“Es ist schwierig zu verstehen, wie allgegenwärtig die
Fermentation ist – aber wenn man einmal damit anfängt,
etwas darüber zu lernen, entdeckt man sie überall.”

 

Heute ist David selbstständig, oder, wie er es ausdrückt, „ein exemplarischer Multi-Performer, der mein Gehirn an Dritte vergibt“. In der Tat umfasst sein Lebenslauf eine Vielzahl von Titeln: Koch, Fermenter, Lebensmittelwissenschaftler, New York Times-Bestsellerautor und Juror bei Top Chef Canada – um nur einige zu nennen. 

Bevor er im Noma anfing, interessierte sich David nicht besonders für die Fermentation. Aber sobald sein Interesse geweckt war, öffnete sich ein, wie er es nennt, „endloser, wunderbarer Kaninchenbau. Es ist schwierig zu verstehen, wie allgegenwärtig die Fermentation ist – aber wenn man einmal damit anfängt, etwas darüber zu lernen, entdeckt man sie überall,“ erklärt er. „Und wenn man einmal verstanden hat, wie sie funktioniert, versteht man auch, dass sie als eine Art Synekdoche stellvertretend für die natürlichen Abläufe der Welt im Allgemeinen dient. Der Prozess ist so einfach, dass man jeden Tag damit zu tun hat: Kaffee, Salatdressing, Sojasoße.“

Auf die Frage, ob er die Fermentation als Kochen oder als Wissenschaft betrachtet, antwortet David: „Sowohl als auch. Sie liegt am Schnittpunkt so vieler menschlicher Kulturen: der Wissenschaft, der Landwirtschaft und der Geschichte der Menschheit. Die Rezepte für die Fermentierung gehören zu den kulturell bedeutendsten – Kimchi in Südkorea, Miso in Japan, Bier in Deutschland, Tequila in Mexiko und Wein in Frankreich. Es sind die Menschen und die Geografie, die sie jeweils ausmachen.“

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David lebt zusammen mit seiner Partnerin, der schwedischen Handtaschendesignerin Matilda Venczel, und deren 9 Monate altem Sohn Io. David und Matilda lernten sich vor acht Jahren zufällig in Kopenhagen kennen, als Matilda Freunde besuchte. Zu dieser Zeit lebte sie in einem winzigen Haus in den Wäldern Nordschwedens und arbeitete als firmeninterne Designerin in einer Ledergerberei. Heute führt Matilda ihre gleichnamige Marke für Luxushandtaschen und Lederwaren, Venczel, und ist außerdem Beraterin für Mugler-Handtaschen. Ihr gemeinsames Haus ist ein Spiegelbild ihrer jeweiligen künstlerischen und beruflichen Tätigkeit sowie ihrer gemeinsamen Leidenschaften: Kreativität, Design und – natürlich – Io.  „Wenn man mit einem Kind zusammen lebt, gibt es definitiv einige praktische und logistische Aspekte, die sich auf die Art und Weise auswirken, wie wir in unseren Räumlichkeiten leben und diese nutzen“, meint David. „Matilda hatte früher im zweiten Schlafzimmer ein Designstudio. Jetzt ist es das Zimmer von Io. Wir mussten einen selbst gebauten, ziemlich gefährlichen Couchtisch gegen einen mit abgerundeten Ecken austauschen. Aber dies bringt auch neue Möglichkeiten mit sich. Der rote Sessel wurde vorher kaum geschätzt, aber jetzt sitze ich dort und spiele mit Io. Er ist zu einem meiner Lieblingsplätze geworden – abgesehen von der Küche.“

 

“Ich glaube, dass das Zuhause der Ort ist, zu dem man immer wieder zurückkehren möchte. Ein Ort, den man mit den schönsten Erinnerungen füllt
– mit Kunstwerken, Fotos von geliebten Menschen oder Designstücken,
die einem ein bestimmtes Gefühl vermitteln.

 

In Anbetracht seines Berufs ist es leicht zu verstehen, dass die Küche für David ein wichtiger Teil des Zuhauses ist: „Die Art und Weise, wie ich mich in meiner Küche zu Hause fühle, kann man mit einem Papa vergleichen, der eine Garagenband hat. Ich habe noch nie so viel gekocht wie zu der Zeit, als ich aufhörte, als Koch zu arbeiten. Zum Beispiel gehe ich zum Markt in den Torvehallerne, um zu sehen, was dort angeboten wird. Ich koche viel für Matilda.“ David schätzt, dass die Aufteilung für das Kochen in ihrem Zuhause etwa bei 95:5 liegt, wobei er den Löwenanteil macht – aber Matilda fügt hinzu, dass das tatsächliche Verhältnis eher 98:2 beträgt: „Ich habe ihm immer traditionelle schwedische Gerichte gekocht, die er nicht kannte. Aber inzwischen hat er sich auch diese Rezepte angeeignet und perfektioniert!“ Obwohl Io noch etwas zu jung ist, um in den Genuss der Kochkünste seines Vaters zu kommen, freut sich David darauf, ihm sein Lieblingsgericht zu servieren: „Makkaroni und Käse – genauer gesagt, den Makkaroni-Käse-Auflauf meiner Mutter. Es würde mir das Herz brechen, wenn er Io nicht schmecken würde“, fügt er hinzu.

Wenn es um die Auswahl von Einrichtungsgegenständen geht, beschreibt sich David als „jemand, der versucht, Dinge zu finden, die niemand hat, aber jeder haben will. Diese Neigung begann mit einer Jacke, die Matilda mir einmal geschenkt hat. Aber eigentlich war dieser Teil von mir schon immer da – als Kind habe ich mein Ding gemacht, wie meine eigene Kunst.“ Heute spiegelt das Zuhause eine Verschmelzung der beiden Stile wider. Ein großes Bücherregal erstreckt sich über eine ganze Wand der offenen Wohnküche, in der eine Mischung aus Kochbüchern, wissenschaftlichen Publikationen und Romanen vertreten ist. Maßgefertigte Stücke, wie eine dekonstruierte Marmorvase, die von Freunden, dem Künstler-Designer-Duo Soft Baroque, angefertigt wurde, mischen sich mit Vintage-Fundstücken, darunter vier italienische Esszimmerstühle aus den 1970er-Jahren, die Matilda als Teenager ergattert hatte, lange bevor sie eine eigene Wohnung besaß. 

 

 

Auf die Frage, was der Begriff „Zuhause“ für David bedeutet, nimmt er sich einen Moment Zeit zum Nachdenken. Ich habe einmal gehört, wie jemand sein Zuhause als den Ort beschrieben hat, an den man zurückkehrt“, erklärt er. „Und als jemand, der viel umgezogen ist, kann ich das bestätigen: Man richtet sich nie ein, man zieht nie ein. Ich glaube, dass das Zuhause der Ort ist, zu dem man immer wieder zurückkehren möchte. Ein Ort, den man mit den schönsten Erinnerungen füllt – mit Kunstwerken, Fotos von geliebten Menschen oder Designstücken, die einem ein bestimmtes Gefühl vermitteln. Und wenn es großartige Designs sind, werden sie dir immer wieder ein bestimmtes Gefühl vermitteln. Man kann umziehen, aber man nimmt sein Hab und Gut mit und richtet sich woanders ein neues Zuhause ein.